Menschen mögen Schubladendenken – damit sind bloß meist auch Klischees und Vorurteile verbunden. Vor allem, wenn es um Sexualität geht. Aber kann es auch empowernd sein, sich einer bestimmten Kategorie zuzuordnen? Brauche ich ein Label? Aminta hat sich ein paar Gedanken dazu gemacht.
Dieser Text behandelt das Thema Label im Rahmen sexueller Orientierungen. Andere Identitäten werden absichtlich außen vor gelassen oder wenig thematisiert, damit der Text nicht zu lang wird.
Warum machen sich viele Menschen keine Gedanken über ihre sexuelle Orientierung, bis sich eine Person im Freund*innenkreis outet? Und warum werden Label oft abgelehnt? Warum zelebrieren andere ihre* Identität ausgiebig und demonstrieren dabei ausgelassen auf den Straßen? Eine spontane Antwort wäre: Manche brauchen die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, andere fühlen sich freier ohne eine Zuschreibung. Das klingt sehr einfach. Aber was sind eigentlich Label und welche Vor- und Nachteile bringt es mit sich, sich einem Label zu zuschreiben?
Label sind Begriffe/Zuschreibungen, mit denen z.B. bestimmte Sexualitäten benannt werden. Sie ordnen Individuen einer Gruppe bzw. Kategorie zu und nehmen damit eine identitätsstiftende Funktion ein. In Bezug auf Sexualitäten gibt es Heterosexualität, Homosexualität, Bisexualität, Pansexualität und viele mehr. Die Frage nach der (persönlichen) Sexualität hängt oft mit der Frage nach dem Geschlecht zusammen. Wer sich zum Beispiel als Mädchen* identifiziert und nur Mädchen* liebt, ist lesbisch oder homosexuell. Da ist es ganz egal, ob das Mädchen* transident* ist oder nicht.
Label sind persönlich, aber gehen oft mit Klischees und Vorurteilen einher.
Klischees existieren, da es Teile einer Gruppe gibt, die ähnliche Verhaltens-/Kleidungs-/Sprechmuster etc. aufweisen, aber sie sind keineswegs als Maßstab und Kategorisierungsinstrument wahrzunehmen. Von Klischees muss man Vorurteile unterscheiden, denn Vorurteile sind meistens persönliche Einstellungen und negativ. Vorurteile werden oft auch vom gesellschaftlichen Denken gefördert. Stereotype sind z.B. Verhaltensmuster, die als Verallgemeinerung einer gesamten Gruppe zugeordnet werden.
Klischees, Vorurteile und Stereotype sind oftmals abwertende, starre Bezeichnungen und eingefahrene Denkweisen, die es Menschen nicht unbedingt einfacher machen im Leben.
Jetzt stell dir vor, du bist in der Pubertät und verliebst dich Hals über Kopf in eine Person des gleichen Geschlechtes. Obwohl du den Begriff Homosexualität kennst, hast du dir nie weiter Gedanken darüber gemacht. Nun merkst du aber, dass du dich mit diesem Begriff stark identifizieren kannst. Für viele junge Menschen ist der erste Schritt nach dem inneren Outing, sich im Internet z.B. auf YouTube über Sex und Sexualitäten zu informieren. Dabei stoßen sie auf Unmengen an Informationen und eine Fülle an Label. So gibt es scheinbar für jede Person einen passenden Begriff. Das ist zwar gut, damit sich jede*r verstanden fühlt, jedoch kann es auch eine große Überforderung sein, da die eigene Identität kurzzeitig stark in Frage gestellt wird, um sich in eine Kategorie einordnen zu können.
‚Kategorie‘ assoziiert ein gängiges Schubladendenken und genau das fördern Label auch. Obwohl die Zugehörigkeit zu einer Gruppe keineswegs starr sein muss, ist es für Außenstehende oftmals schwerer, dieses Denken aufzuheben. Das Verständnis für eine sich verändernde Sexualität fehlt einigen Personen noch. Mit jedem Label werden bestimmte Erwartungen, Klischees, Stereotype, Vorurteile und Verhaltensformen projiziert. Diese können die betreffende Person stark einschränken, wenn sie*er sich außerhalb dieser Erwartungen bewegt und sich durch das Label plötzlich unter Druck gesetzt fühlt. Trotz der Vielfalt an Labels bleibt die gesellschaftliche Erwartung, sich einzuordnen, also erhalten. Dies schränkt die persönliche Freiheit besonders dann ein, wenn die Umwelt akzeptanzlos oder bewertend mit dieser Zuordnung umgeht.
So führen Labels z.B. auch innerhalb einer Szene zu Diskriminierung. Die queere Szene ist eine große Szene mit vielen Subszenen – und trotzdem gibt es gegenseitige Abneigungen. So gibt es Aussagen von schwulen Männern*, die keine lesbischen Frauen* mögen, und andersherum. Es ist erstaunlich, dass die Einteilung in „Wir und Ihr“ auch in diesem Kontext Diskriminierungen erzeugt. Dementsprechend kann ein übersteigertes Gefühl der Gruppenzugehörigkeit auch sehr profilierend wirken, wenn sich Personen besser fühlen, da sie einer bestimmten Gruppe angehören.
Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung gibt es in vielfältiger Form. Die erste beginnt mit der Selbstverständlichkeit vieler Personen, dass jede*r heterosexuell ist. Das ist zumindest das Grunddenken vieler, die „Normalität“, mit der wir groß werden. Die Kinder spielen „Mutter, Vater, Kind“, die Eltern fragen die Tochter, ob sie schon einen Freund hat und wenn Lisa mit ihrer* Freundin* ins Kino geht, würde niemand ein Date vermuten.
Aber wie oben beschrieben haben Label auch einen persönlichen Aspekt. Wer sich selber einem Label zuordnet macht das für sich, um sich als Teil einer Gruppe zu verstehen, Erfahrungen, Gedanken und Ängste auszutauschen oder um generell Kontakte zu knüpfen. Manche nutzen das Wissen über Codes innerhalb einer Gruppe, um auf sich aufmerksam zu machen. Die gegenseitige Unterstützung und Solidarität der Gruppe schafft Selbstbewusstsein und Mut, zur eigenen Sexualität zu stehen.
Dieser Text soll nicht vorschreiben, dass sich jede*r einem Label zuordnen sollte oder sein*ihr Label ablegen. Viele sind der Ansicht, dass auch ohne Label selbstbestimmtes handeln möglich ist und, dass sie es für sich nicht brauchen.
Im Gegensatz dazu ist das Finden eines geeigneten Labels für einige befreiend und bildend, da sie sich und die Kultur hinter dem Label besser kennenlernen.
Wer sich keinem Label zuordnen möchte ist nicht unwissender als die Personen, die ebendies tun. Und heterosexuelle Menschen müssen sich ihr Label ja auch nicht auflegen. Fakt ist, dass sexuelle Identitäten persönlich sind und eine Zuschreibung von außen nicht gültig ist.
Legende:
Heterosexualität = Gefühle und sexuelles Interesse für das andere Geschlecht
Homosexualität = Gefühle und sexuelles Interesse für das gleiche Geschlecht
Bisexualität = Gefühle und sexuelles Interesse für „beide“ Geschlechter (Junge und Mädchen)
Pansexualität = Gefühle und sexuelles Interesse für alle Geschlechter, ungeachtet deren Genitalien oder Identitäten
Transident = Die eigene Geschlechterwahrnehmung ist nicht mit dem Körper, in dem eine Person geboren wurde, identisch. Bsp: Eine Person wurde in einem Mädchenkörper geboren, ist aber ein Junge. Nach ärztlichen Besprechungen und Untersuchungen kann die Person Testosteron nehmen, um den Körper an die eigene Identität anzupassen und ein „männliches“ Erscheinungsbild zu erlangen.
Inneres Outing = das ‚innere Outing‘ bezeichnet den Prozess, der durchlaufen wird, wenn einer*m bewusst wird, dass die eigene Sexualität außerhalb der gesellschaftlichen Norm liegt
Codes = werden eingesetzt, um zu zeigen, dass man zu einer bestimmten Gruppe gehört bzw. um von anderen aus der Gruppe erkannt zu werden (z.B. die Regenbogenflagge bei Homosexuellen). De-Codierung heißt hier, dass man in der Lage ist, diese Codes auch zu lesen.
Queer = Sammelbegriff für alle Menschen, die sich als nicht-heterosexuell definieren und/oder sich nicht mit ihrem geborenen Körper identifizieren (Transident, Genderqueer, Schwul, Bisexuell, Lesbisch und viele mehr)
Mehr dazu:
- Ihr fühlt euch in eurer Transsexualität nicht ernst genommen? #teamtrans* berät euch auf dem YouTube-Kanal von queerblick.
- Amintas Plädoyer gegen Homophobie.