Wir freuen uns, in diesem Monat noch einen weiteren neuen Autor auf meinTestgelände begrüßen zu können – ab jetzt schreibt hier für euch auch Sven Schwarz In seinem Text geht es um Identität, um Unsicherheiten, um die Frage danach, wann und vor wem man was von sich preisgibt. Oder preisgeben muss? Wann kennt man jemanden tatsächlich? Kennt man sich überhaupt selbst?
Zu denken, dass einen niemanden kennt, fühlt sich so an, als würde man die ganze Welt belügen. Niemand weiß, wer ich wirklich bin. Keiner kann es wissen.
Wäre man nun nicht mehr da, hätte mich niemand gekannt.
Ein falsches Phantombild, welches jeder von einem hat. Wie hält es stand? Wie lange kann ich der sein, der ich vorgebe zu sein?
Es fühlt sich an, als würden die ganzen Freunde die man pflegt, die eigene Familie einen nicht kennen.
Wer bin ich nun wirklich? Muss ich jedem erzählen, wer ich wirklich bin? Muss ich mich dafür entschuldigen?
Niemand kennt die Wahrheit, die selbst ich zuerst nicht kannte.
Kann man damit leben, ohne es nie einem zu erzählen?
Man lebt mit einem Menschen in sich, der raus will, der sich nicht verstecken muss.
Aber vor was verstecken?
Man kennt Leute, die wissen wer sie sind, und alle anderen wissen es auch. Geht es denen besser als mir?
Warum konnten Die diesen einen Schritt wagen, und ich nicht?
Bin ich, wenn ich es offenbart habe, noch der Gleiche, oder jemand völlig anderes? Geht es mir danach besser?
In mir ist etwas, was nicht länger versteckt bleiben will. Wie ein unschuldiger Mensch, der sein halbes Leben im Keller eingesperrt ist. Warum eingesperrt? Wer sperrt ihn ein?
Ich selbst!
Wissen es schon alle, oder besser ahnt es Jeder, und ich muss es gar nicht erzählen?
Bin ich der Einzige, der es noch nicht weiß?
Solche Gedanken, die man täglich
pflegt, verschwinden die, wenn es alle wissen?
Ich schließe die Augen, mit dem Vorhaben, schon bald alles zu ändern!
Mit einem guten Gefühl? Ich weiß es nicht.
Das Gefühl lässt sich nur schwer beschreiben und ist kaum einzuordnen. Ein Gemisch aus Angst, Nervosität, Erleichterung und ab und zu, wenn auch noch zu wenig, Freude.
Zeigt mir der kleine Anteil an Freude, dass ich das Richtige tue?
Was ist richtig und was ist falsch?
Falsch ist definitiv, dass mich niemand kennt und jeder meint, mich zu kennen.
Seit wann dieser andere, neue und „richtige“ Mensch da ist, kann ich nicht sagen. Seit wann ich mich selbst damit abgefunden habe, kann ich auch nicht sagen. Er ist da. Ich muss ihn akzeptieren. Das mache ich.
Warum schreibe ich diese Zeilen?
Um meine Gedanken selbst verstehen zu können?
Um mich selbst kennen und respektieren zu lernen?
Um zu wissen, was ich wirklich denke?
Um mir selbst zu helfen?
Es ist wahrscheinlich alles. Alles vermischt in einem großen Topf.
Niemand kann einem dabei helfen. Niemand wird einem die Last abnehmen, die auf einem sitzt.
Man ist selbst dafür verantwortlich, was man aus seinem Leben macht.
Bin ich irgendwann der, der anderen hilft oder bleibe ich immer der, den niemand kennt.
Das liegt einzig und allein an mir.
Ich möchte mich nicht mehr verstellen und vorgeben, jemand anderes zu sein.
Eine Art von Schauspiel, wenn ich mit anderen rede. Vorgefertigte Antworten und auswendig gelernte Floskeln schmücken jede Kommunikation.
Es passiert schon fast automatisch. Natürlich finde ich Frauen heiß. Natürlich habe ich unzählige Ex-Freundinnen.
Auf die Frage, warum ich schon länger in keiner Beziehung verweile, ist meine Antwort immer gleich und so glaubwürdig, dass ich sie schon selbst fast glauben möchte.
Es ist schon fast absurd, dass ich ohne mit der Wimper zu zucken, vermeintliche Freunde anlüge, wobei ich lügen eigentlich hasse.
Ich liebe die Ehrlichkeit. Wie paradox!
Ein Leben, was von Paradoxien geprägt ist.
Man begräbt die alte, unwahre Persönlichkeit und begrüßt das eigentliche, wahre Ich.
Wenn es mir dabei gut, warum mache ich mir dann Gedanken, was andere denken?
Sollte mich das interessieren?
Vielleicht weil man auf einen Schlag merkt, wer durch das Sieb rasselt oder wer auf der Oberfläche bleibt und „mich“ nun nicht mehr kennt.
Angst davor, Menschen auf einmal kennen zu lernen, die dich dann aber nicht mehr kennen möchten.
Alles das sind Gedanken, die an einem normalen Tag durch mich kreisen.
Ich werde schon nervös, mit einem Kleinteil von Unwohlsein, wenn ich nur diese Gedanken zu Wort bringe.
Ich muss mich dem stellen und hinter mir lassen, was ich nicht bin.
Mehr dazu:
- Mit Identität und Begehren hat sich kürzlich auch unsere Autorin Lina auseinandergesetzt.