Warum Ika irgendwann angefangen hat, zu sagen, „vom Pluto“ zu kommen, und was das mit Rassismus und Passing Problemen zu tun hat, das erklärt euch dieser neue Text. Wie immer ein kraftvolles Plädoyer dafür, dass wir unbedingt auch an uns selbst arbeiten müssen, um Klischees und Vorurteile zu verlernen, um uns zu verbünden, denn: „No one is free until we all are free.“ (Martin Luther King Jr.)
Als ich vor ein paar Jahren anfing, Testosteron zu nehmen, war mir klar, dass ich mich verändern würde. Mir war auch klar, dass es dabei um mehr geht als um das Aussehen.
Tatsächlich hat sich gefühlt meine Welt einmal auf den Kopf gestellt.
Manchmal waren die Veränderungen dabei schneller als ich.
Aber mittlerweile hoffe ich, einigermaßen hinterher gekommen zu sein, darum möchte ich gern davon erzählen.
Ich war zwar nie typisch „weiblich“, trotzdem kenne ich es noch, dass mir Sachen aus der Hand gerissen wurden, weil sie ja bestimmt zu schwer für mich seien.
Ich kenne es auch selbstverständlich von Männern* unterbrochen zu werden.
Mich im öffentlichen Raum kleiner zu machen als ich sowieso schon bin.
Mit Bart nachts durch die Straßen zu laufen, war tatsächlich manchmal ein neues Gefühl von Freiheit. An manchen Tagen bin ich selber noch überrascht, plötzlich so viel Platz zu haben in der U-Bahn.
Doch in meiner Transitions hat sich irgendwie unerwartet noch viel mehr verändert.
Ein dunkler Bart hat plötzlich dazu geführt, dass ich gefragt werde wo ich denn herkomme. Mir wurde gesagt oder gezeigt, dass ich nicht von „hier“ sein könne.
Was auch immer das heißt.
Wenn das auf der Straße passiert ist, konnte ich meist noch ganz gut darüber lachen.
Gerade in Arbeitskontexten hat es mich aber oft angestrengt.
Als undercover Inter* und gleichzeitig als Ausländer* wahrgenommen zu werden, der*die eigentlich eher deutsch groß geworden ist, habe ich mich oft wie ein Alien gefühlt.
Für mich selber habe ich beschlossen, die nervige Herkunftsfrage ganz einfach zu beantworten.
Ich bin vom Pluto.
Das ist erstens ganz weit weg.
Zweitens nicht Mars oder Venus – also weder Mann noch Frau.
Außerdem hatte auch schon Pluto – genau wie ich – Passing Probleme.
2006 wurde er plötzlich zum Zwergplaneten degradiert.
Hat da jemand mal Pluto gefragt?
Nein – im Ernst.
Wir als Gesellschaft sollten endlich damit aufhören, bestimmten körperlichen Merkmalen so eine übergroße Bedeutung zuzuschreiben.
Ich will, dass weder die Größe meiner Brust noch die Farbe von meinem Bart dazu führt, dass Leute plötzlich irgendwelche Bilder und Filme im Kopf haben, die dann auf mich projiziert werden, obwohl sie eigentlich gar nichts mit mir zu tun haben.
Darum bin ich froh, dass in diesem Jahr auch die offiziellen CSDs sich solidarisch mit Black Lives Matter erklärt haben.
Es macht gar keinen Sinn nur für queere Emanzipation zu kämpfen.
Ich glaube an den alten Spruch „No one is free – untill all are free“
Aber selbst wenn euch das nicht überzeugt, schon allein ein Blick auf queere Geschichte zeigt:
Auch wenn heute queere Institutionen oft sehr weiß* sind, für unsere Vorkämpfer*innen gilt das nicht.
Oft waren gerade Leute, die gegen mehr als eine Form der Unterdrückung gekämpft haben, am mutigsten.
Das gilt für die vielen Schwarzen Trans*Frauen der Stonewall Riots – aber auch für queere Geschichte in Deutschland.
Das erste Institut für Sexualwissenschaften in Berlin wurde von Magnus Hirschfeld gegründet.
Leider haben dann die Nazis in den 30ern das Institut komplett zerstört und Magnus Hirschfeld musste als schwuler Jude aus Deutschland fliehen.
Caster Semenya (erfolgreiche 800m Läuferin) war die erste Person, bei der ich 2010 mitbekommen habe, dass öffentlich über Intersexualität gesprochen wurde.
Wie rücksichtslos dabei ihr Recht auf Privatsphäre missachtet wurde, wie sehr alle möglichen Leute meinten, das Recht zu haben zu beurteilen, wie weiblich oder nicht weiblich Caster Semenya sei.
Das hatte nicht nur mit Queerfeindlichkeit zu tun, und mit Inter*feindlichkeit – das war ganz oft auch Rassismus.
Leslie Feinberg, eine der ersten Menschen, die eine Transition mit Hormonen gemacht haben und wichtige*r Trans*vorkämpfer*in, hat auch gegen Antisemitismus und Rassismus gekämpft.
Auch Freddy Mercury, Sänger von Queen und der wohl berühmteste Schwule der Rockmusik, musste gegen Homofeindlichkeit und rassistische Zuschreibungen kämpfen.
Ich selber bin mit antirassistischem Kinderbuch aber auch rassistischen Bildern von Entwicklungshilfe groß geworden.
Genauso wie es gebraucht hat zu lernen, dass es gar nicht nur Mann oder Frau gibt – und dass all die damit verbundene Zuschreibungen ziemlicher Quatsch sind – genauso hat es auch gedauert, rassistische Klischees loszuwerden.
Ich hatte auch einen Irokesen Haarschnitt, weil das in meinen weisen Augen „wild und punk“ war, ohne darüber nachzudenken, dass es meine Projektionen sind und die Frisur eigentlich eine ganz andere Geschichte hat, die ich gar nicht wirklich kannte.
Ich war ein Jahr nach der Schule woanders, klar – auch weil ich es in meiner Kleinstadt nicht ausgehalten hab – aber auch weil irgendwelche Klischees meinten, weit weg, woanders, ist bestimmt aufregender als hier.
Im Grunde ist es auch eine never ending Story. Ständig werden wir offen oder subtil damit konfrontiert, dass Leute nach bestimmten Kriterien unterschieden und auch bewertet werden, da muss ich schon aktiv gegen arbeiten im Kopf.
Wenn ich das nicht mitmachen will.
Das sollte aber nicht aus einem seltsamen Pflichtgefühl oder aus Paternalismus passieren.
Letztlich geht es nicht nur darum, andere nicht zu diskriminieren – sondern auch darum, zur eigenen Menschlichkeit zurück zurück zu finden.
Als Person die lange weiblich gelesen wurde und jetzt männlich, als Person die weiß groß geworden ist, und jetzt manchmal Rassismus erlebt, als Person, die in eine bürgerliche Familie geboren wurde und jetzt eher lower class lebt, kann ich sagen:
Natürlich ist es manchmal anstrengend oder es klappt nicht, gegen alte Vorurteile zu kämpfen.
Natürlich kann es weh tun sich Fehler einzugestehen.
Natürlich macht es Angst, loszulassen.
Aber eine Sache, die Vorurteile machen ist es, Empathie zu blockieren.
Der Mensch, der mir aus dem Nichts heraus die Schulter tätschelt und sagt dass ich ja bestimmt ein armes Schwein bin, aber ich solle mich doch mal gerade hinsetzen dann klappt das schon mit dem Ankommen – der sieht nicht nur mich als Mensch nicht, der verliert auch seine eigene Menschlichkeit.
Eigentlich logisch, dass das für niemanden gut ist,
auch nicht für die Person, die ihre Empathie verliert.
Nur manchen scheint Macht wichtiger zu sein als Empathie, aber das ist nicht die Seite, auf der Mensch stehen will, oder?
Gerade wir Inter* und Trans* kennen uns doch eigentlich aus mit Vorurteilen.
Also lasst uns nicht nur gegen die einen Vorurteile kämpfen, sondern gegen alle, vielleicht auch die eigenen,
bis alle frei sind.
Manche setzen sich mit ihrer Musik für Emanzipation ein – hört gern mal hier rein.
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